Un – be – schadet

„Unbeschadet“ sollte der Mann aus der Nummer ‘rauskommen. Der Täter. Un – be – schadet.

Toni Sailer soll 1974 in Polen eine Frau vergewaltigt haben. Standard Artikel, Facebook Video, OE1 Artikel.

Und was passiert jetzt? Nicht der wird kritisiert, der offensichtlich eine Schandtat verübt hat, sondern der, der es laut sagt. Nicht die Tat, der Täter oder das Übel wird verurteilt, sondern die Person, die ihn oder es benennt. Und das in viel zu vielen Situationen und Lebensbereichen.

Frauen, die bei #metoo mitmachen sind nicht mutig und man ist nicht erschrocken über die Ausmaße, sondern die Frauen, die „wieso erst jetzt?“ mit diesen „Lappalien“ herausrücken sind gemeine Furien und stellen pauschalisierend und ungerechterweise alle Männer an den Pranger, wahrscheinlich sogar mit hinterhältigen Motiven. Selbst Schuld sind sie im Zweifel ohnehin, aber noch wichtiger: #notallmen!

Menschen, die allgemein als Arschloch empfundene Typen anklagen sind ok, geht gerade so, vermeintliche Gallionsfiguren ‘guter’ Bewegungen sollen aber bitte nicht angegriffen werden, weil sie angeblich so wichtig sind, da gilt die Unschuldsvermutung auch noch nach der vorgeblichen und laut zelebrierten Schuldeinsicht, da wird jetzt bitte besser geschwiegen. Jemand Gutes darf zwar auch böse sein und böses tun, aber darüber geredet wird bitte nicht.

Männer, die es wagen, auch ein leises #metoo zu sagen, werden abgewertet und belächelt, selbst betroffene Frauen versuchen das zu verharmlosen, als ginge es um einen Wettbewerb der Abscheulichkeiten, der auch über klare Zahlen hinaus unbedingt nur von Frauen gewonnen werden darf. Und Männer tun es mit Schwulenwitzen oder groben Unflätigkeiten ab, die auch nur das innere Verständnis über Verhältnisse und eine Weltsicht offenbart. Und selbst dann ist im Zweifel die Frau ein übersexualisiertes, kann-nur-bösartig-sein-dämonisiertes Wesen, was müssen das für „Frauen“ sein, die sich eine vollkommene Umkehr der Sexual-Gewalt-Hierarchie erlauben. Und was für „Männer“, die solch eine Situation nicht ausnutzen oder ins Gegenteil verkehren.

Ich mein’, Schuld sind die Frauen sowieso und in jedem Fall, denn wer jessasmarantjosef hat die Unholde aller Geschlechter und Orientierungen denn erzogen? Ja. Eben. Kinder anderer Eltern werden bedauert, Fremden werden ungefragt Ratschläge gegeben und es wird gelästert, was das Zeug hält. Das eigene Kind soll aber bitte bloß nicht zum „Nestbeschmutzer“ werden und die Grabschereien des eigenen Onkels dann doch lieber nicht der Vertrauenslehrerin verraten. Könnte ja „peinlich“ werden, was sollen denn die Kegelbrüder vom Onkel denken?

Und achduje, wenn das Kind die fragwürdigen Erziehungsmethoden der eigenen Eltern öffentlich macht oder sich von der Last des Schweigens befreien will! Huch, wie kann man nur die eigene Familie mit dem Dreck bewerfen, den sie jahrelang über einem ausgekübelt hat? Eine Adolf-Hitler-Glocke hängt seit 84 Jahren in einem deutschen Dorf, also auch noch 73 Jahre nach dem feigen Selbstmord des schlimmsten Tyrannen der Neuzeit, und es wird -nachdem es schändlicherweise jahrelang nicht einmal bemerkt oder sagen wir… die Decke des Schweigens darüber gebreitet wurde- stotternd diskutiert, wie man ihre Bedeutung schlicht umdeuten kann, anstatt sie stillschweigend mit vor Scham hochrotem Kopf einfach abzubauen.

Das Gnadengesuch eines ehemaligen KZ-Mitarbeiters wird zu recht abgelehnt, weil es trotz Bedauern einfach nicht richtig wäre, dass der Mann nach einem Leben in Freiheit, das er tausenden zu nehmen geholfen hat, in Ruhe und Frieden davon kommt. Kommentiert wird aber beides mit dem gleichen schal schmeckendem Mix aus Schuld- und Verantwortungsvertauschung, Verharmlosung, politischem Kleingeld, komplettem Unverständnis, der Frage, warum man das nicht stillschweigend unter dem Teppich der Ignoranz belässt – die Glocke einfach da lässt, hat ja bis jetzt auch niemanden gejuckt!; der Mann hat ja jetzt eh schon so lange friedlich vor sich hin gelebt, lasst ihn doch einfach in Ruhe! – bzw. so tut, als wäre der Teppich nie gelüpft worden und so, als könne man Wissen „ungeschehen“ machen… und am besten mit: was berichtet ihr über sowas, gibt‘s keine wichtigeren Themen?

Anstatt Kindern, Jugendlichen oder dann wenigstens den Erwachsenen ihr Trauma tragen zu helfen, es erstmal anzuerkennen, daraus vielleicht zu lernen und es dadurch irgendwann ein bißchen schöner für alle zu machen, fragen wir lieber immer nur die gleichen unsinnigen und nicht-hilfreichen Fragen: „warum erst jetzt“ und „warum hast Du Dich denn nicht gewehrt“ und es fällt uns nichts besseres ein, als ein „also ich hätte dies und das getan“ und enden mit einem Hieb Salz in die riesengroße Wunde der Scham, Selbstbeschuldigung und Verzweiflung mit „und mir das nicht gefallen lassen“. Dazwischen vielleicht noch ein, zwei Spritzer Zitronensaft ins offene Fleisch mit „aber das war bestimmt nicht so gemeint“ oder „naja, vielleicht bist Du auch überempfindlich“, „so schlimm wird’s nicht gewesen sein, wenn Du nichts gesagt hast“ und „also wenn ich immer auf dies und das so überreagiert hätte“.

Selbst jetzt habe ich noch nichts über die Frau gelesen, die der Weltsportler Sailer dort mit hohem Einsatz allerlei wichtiger Instanzen natürlich nicht vergewaltigt und mißhandelt hat. Tausende Snippets, Artikel und Kommentare zu dem armen Toten, der sich nicht mehr wehren kann, springen mich an und splattern meine Timeline voll, kein einziger zu der Frau, von der ich nicht mal weiß, ob sie noch lebt.

Kinder werden mißhandelt, mißbraucht, getötet und die Welt ergeht sich in Theorien zu den Tätern, die Familienmitglieder werden mitverantwortlich gemacht, braunes Gesocks mißbraucht jedes ü oder č im Namen der Täter und Opfer für haßerfüllte Tiraden und Mordwünsche und rund um die Opfer herrscht nur beißende Stille. Der Fokus ist komplett verschoben.

Wir diskutieren immer noch über das schlimmste Elend unserer Zeit, die political correctness, verweigern die mit Schuld verwechselte Verantwortung und beschweren uns über die Unlesbarkeit der Sätze mit *innen in Spiegel- und taz-Artikeln, während wir getrost als erstes mal jedes Fitzelchen Information nutzen, um Taten zu nivellieren, für die eigene Agenda zu mißbrauchen, Opfer abzuwerten, anzuzweifeln, in den Dreck zu ziehen, weiter zu beschmutzen und uns lauthals über von uns aus ach so maßlos überzogene Befindlichkeiten von Gruppen zu echauffieren, zu denen wir uns eigentlich glücklich schätzen sollten, nicht zu gehören. Anstatt mit ein bißchen Demut vor der Geburtslotterie gerade denen, in deren Schuhen wir nicht immer laufen können und vor allem nicht wollen, einfach ein bißchen Respekt oder zumindest die Achtung der Gleichgewichtung zu schenken. Und genauso leben zu lassen, wie wir es für uns selbst ganz ungeniert selbstverständlich finden.

Alles verwirbelt und noch nicht gesackt, der Sand im Orkanwasserglas.