Sehr geehrter Henryk M. Broder,
Quelle für meine Schreiben an Sie ist die abgedruckte Version Ihrer Rede vor der AfD-Fraktion in der „Welt“ am 31.01.2019. Nachdem Ihre Rede gerade überall öffentlich geteilt wird, dachte ich, man kann Ihnen ja auch öffentlich antworten.
Sie leiten Ihre Rede damit ein, „Meine erste Wahl wären die Grünen gewesen. Ich wäre dafür sogar mit dem Rad oder einem Ruderboot hergekommen. Aber so weit sind die Grünen noch nicht, dass sie einen wie mich einladen würden. Dazu müsste ich erst einmal anfangen, meinen Müll zu trennen, sparsam zu heizen und weniger Wasser zu verbrauchen. Das tue ich nicht.“ Ich frage mich, ob die bisherige Nicht-Einladung der Grünen nicht vielleicht eher daher rührt, dass Ihr Bruch mit der deutschen Linken eines Ihrer Kern-Themen ist und die Grünen trotz all ihrer Bobohaftigkeit eben immer noch eindeutig links* zu verorten sind. [*2023 eher nicht mehr so.]
Es folgt Ihre persönliche Haltung zum Thema „Klima-Wandel“:
„Ich glaube nicht einmal daran, dass es einen Klimawandel gibt, weil es noch keinen Tag in der Geschichte gegeben hat, an dem sich das Klima nicht gewandelt hätte.“
Wie Sie später ausführen werden, ist Ihnen die Meinungsfreiheit sehr wichtig, die Sie hier fröhlich nutzen, indem Sie ein wissenschaftlich inzwischen zig-fach untersuchtes ernsthaftes Problem für uns alle als etwas bezeichnen, an das zu glauben oder nicht einer Meinung entspräche. Allerdings ist Wissenschaft nichts, an das man glaubt oder nicht. Glauben impliziert Nicht-Wissen, also das Gegenteil dessen, nach dem Wissen-schaft trachtet. Zwischen Wetter, Jahreszeiten und dem Klima-Wandel liegt bedeutungstechnisch der Mariannengraben. Gerade Sie als Journalist sollten ja über Worte und ihre Bedeutung ein bißchen Bescheid wissen. Den Klimawandel mit sich ändernden Wetterverhältnissen oder den 4 Jahreszeiten gleichzusetzen, erscheint mir aus ihrer Feder, bzw. ihrem Munde mit all der semantischen Expertise grob fahrlässig und mutwillig verharmlosend.
Ich verstehe, dass es schwierig ist und schmerzen kann, sich vorzustellen, dass wir unseren eigenen Lebensraum ziemlich grob zerstören, aber so zu tun, als gäbe es unseren Einfluß auf das Klima gar nicht, bzw. das zur rein ideellen Glaubensfrage zu machen, hat mit harmloser Schmerzverdrängung nicht mehr viel zu tun. Insbesondere nicht, wenn man die zu vermutende Dankbarkeit des Publikums, vor dem Sie diese Meinung, diesen Glauben kund tun, mit einbezieht.
Sie kommen dann zur Erklärung, warum Sie die Einladung der AfD-Fraktion zu dieser Rede angenommen haben. Dies ist ihre ganz persönliche Entscheidung und tatsächlich verstehe ich, warum Sie betonen, wohin Sie Sich damit begeben haben und ich bewundere den dazu gehörigen Mut. Zusätzlich betonen Sie einen Ihrer Wesenszüge: „tolerant bis an die Grenze der Selbstverleugnung“ zu sein, wobei Sie dann ganz klar definieren, wann sie Ihre Grenze schließlich ziehen, nämlich wenn Sie „den Intoleranten, die sich selbst zum Maß aller Dinge erheben und mir entweder ewiges Leben im Paradies versprechen, wenn ich ihnen folge, oder einen Logenplatz in der Hölle, wenn ich mich ihnen verweigere.“ begegnen.
Da ich nicht schon die volle Breitseite meiner persönlichen Angreifbarkeit anbieten möchte, indem ich zugebe zu denken, dass Sie ja just im Moment dieser Rede vor diesem Publikum diese Grenze um Sieben-Meilen-Stiefel-Länge überschritten haben, komme ich dazu eventuell später.
Sie leiten nun zum Hauptteil über und nennen das Thema: „Political Correctness“, ein Begriff, von dem Sie behaupten, es wüsste keiner, was er bedeutet. Sie sagen: „Er ist eine leere Kiste, in die jeder reinlegen kann, was er für unangebracht, böse, beleidigend oder gefährlich hält,…“ Das ist faktisch nicht richtig. Es gibt Menschen, die ziemlich genau wissen, was dieses Wort bedeutet. Unsere Sprache, die Bedeutung der von uns gebrauchten Worte, beruht ja auf einer Übereinkunft der Sprecher*innen. Sie könnten bestimmte Worte also theoretisch gar nicht benutzen, wenn Sie davon ausgehen, dass über ihre Bedeutung keinerlei Kenntnis, geschweige denn Übereinkunft herrscht. Political Correctness hat eine ganz klare Bedeutung, die Sie im freiesten und von allen (also denen, die es betrifft) zu bearbeitenden, sich stetig im Wachstum befindlichen Nachschlagewerk der Welt nachsehen können. Auf deutsch und auf englisch, schließlich ist es ein amerikanischer Begriff. Wikipedia hat für den Begriff ‚political correctness’ eine ganz einfache Definition:
„The term political correctness (adjectivally: politically correct; commonly abbreviated PC) is used to describe language, policies, or measures that are intended to avoid offense or disadvantage to members of particular groups in society.“ oder in der deutschen Version: „In der ursprünglichen Bedeutung bezeichnet der englische Begriff politically correct die Zustimmung zur Idee, dass Ausdrücke und Handlungen vermieden werden sollten, die Gruppen von Menschen kränken oder beleidigen können (etwa bezogen auf Geschlecht oder Hautfarbe)“.
Falls Ihnen Wikipedia zu profan ist, könnte man auch das Cambridge Dictionary zitieren: “the act of avoiding of language and actions that could be offensive to others, especially those relating to sex and race.” oder aber den Duden: „Einstellung, die alle Ausdrucksweisen und Handlungen ablehnt, durch die jemand aufgrund seiner ethnischen Herkunft, seines Geschlechts, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Schicht, seiner körperlichen oder geistigen Behinderung oder sexuellen Neigung diskriminiert wird. Abkürzung: PC.“
Wenn man dieser Begrifflichkeit mal die Bedeutung eines anderen Wortes gegenüberstellt, eines guten, beständigen, konservativen, deutschen Wortes, dann dürfte auch dem lautesten Verfechter der angeblich derzeit bedrohten Meinungsfreiheit, die gern als Recht des groben Beleidigens und barbarischen Getöses mißbraucht wird, klar werden, wovon wir hier sprechen, wie modern wir es auch bezeichnen mögen:
„Die Höflichkeit oder Zivilisiertheit ist eine Tugend, deren Folge eine rücksichtsvolle Verhaltensweise ist, die den Respekt vor dem Gegenüber zum Ausdruck bringen soll. Ihr Gegenteil ist die Grobheit oder Barbarei. Sozial gehört sie zu den Sitten, soziologisch zu den sozialen Normen.“
Ihre Behauptung bezüglich der angeblich unbekannten Begrifflichkeit geht aber noch weiter: „…alles, was den „sozialen Frieden“ bedrohen könnte, wobei dies — der soziale Friede — wiederum etwas ist, das nicht dem Frieden dient, sondern die Meinungsfreiheit bedroht.“ Im Gegensatz zur Political Correctness, deren Bedeutung Ihnen — und von Ihnen unterstellt auch allen anderen Menschen — nicht bekannt ist, behaupten Sie im Gegensatz dazu, die Bedeutung des Begriffs „sozialer Friede“ ganz genau zu kennen. Aus dem Konjunktiv der Bedrohung wird der Indikativ der Bedrohung. Es könnte der soziale Friede bedroht sein, aber bedroht ist die Meinungsfreiheit durch den sozialen Frieden, der nur vorgibt friedfertig zu sein, in Wirklichkeit aber die Meinungsfreiheit bedroht. Wie kommen Sie zu dieser Folgerung? Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie so etwas behaupten — vor diesem Publikum, mit diesem Thema, in Zeiten des schrillen Populismus — ohne sich genau zu überlegen, was Sie da sagen. Wollen Sie also wirklich sagen, dass eine von niemandem verstandene aber trotzdem verwendete ‚Political Correctness’ für einen nicht angestrebten nur anscheinend zu wahrenden sozialen Frieden mißbraucht wird, der in Wirklichkeit nur dazu dient, klammheimlich die Meinungsfreiheit zu vernichten?
Sie sind Journalist. Sie sind Schreiber. Sie beeinflussen öffentliche Meinung, sie betreiben gar selbst Meinungsbildung, aktiv, indem Sie Kolumnen schreiben, die immer subjektiv sind und Gefahr laufen, nur in Meinungsblasen wahrgenommen oder in wieder anderen mißbraucht zu werden. Sie wissen doch ganz genau, dass Sie in einem Land leben, in dem Sie Meinungsfreiheit haben. Sie gehen mit Worten um, Ihnen ist ganz klar, welche Worte welche Bilder zeichnen und wie diese manipulieren und formative Wirkung haben können. Sie wissen, dass sich in Worten Weltsichten manifestieren und Sprache Wirklichkeiten beeinflusst.
Wie können Sie einer Begrifflichkeit (und impliziert den Nutzern derselben), die lediglich dazu gedacht ist, Diskriminierung zu mindern und Verletzungen vieler Menschen zu vermeiden, unterstellen, sie suggeriere nur die Unterstützung sozialen Friedens (der sich im Übrigen für Privilegierte ganz anders anfühlt, als für die, denen der Anteil daran verwehrt wird!), dessen immanenter Bestandteil in einer Demokratie auch die Meinungsfreiheit ist, um in Realität diese nur zu vernichten? Sie sprachen weiter oben von Sich selbst als „Brückenbauer, ein Versöhner“. Welche Brücke bauen Sie mit dieser Unterstellung und für wen?
Weiter im Text: Sie können damit leben, dass wir Süßigkeiten inzwischen eher nicht mehr mit rassistischen Namen betiteln. Ich unterstelle Ihnen hier in Folge einen Trick, der einem „ich kann kein Rassist sein, ich habe türkische Freunde“ in nichts nachsteht. Sie sind weiß und äußerlich nicht automatisch einer marginalisierten Gruppe zuzuordnen. Trotzdem gehören Sie durch Ihre jüdische Religions- und Volkszugehörigkeit natürlich zu einer, was Sie ja auch mehrfach so benennen. Es ist in diesem Zusammenhang schwerlich möglich, Ihnen die Privilegien des alten, weißen Mannes vorzuwerfen, der aus der privilegierten Position heraus gnädigerweise sein Einverständnis zu dem Zugeständnis erklärt, dass endlich Menschen anderer Hautfarbe nach und nach weniger damit leben müssen, schon beim täglichen Einkauf mit Rassismus auf den einfachsten Produkten konfrontiert zu werden, ohne zu riskieren, Sie damit antisemitisch zu beleidigen. Und genau dem beugen Sie vor, indem Sie in einer Art Selbstironie darauf verweisen, wie gern Sie –als Jude- doch weiterhin Produkte mit Namen „Judenkuchen“ kaufen wollen würden.
Nur ist allein die Begründung des Namens die, die Ihnen klar machen sollte, wie wenig sich dieser Vergleich richtig anfühlen kann. „Judenkuchen“ entstammt — Ihrer eigenen Erklärung nach!- der Tatsache, dass dieses Gebäck von Juden hergestellt wurde. Es haben aber nicht „M****n“ Sarotti-Schokoloade oder „N***r“ Schaumküsse hergestellt und verkauft. Afrikaner verschiedener Nationalitäten wurden vermutlich unter aller Würde bezahlt, um Kakaobohnen für eben jene Süßigkeit zu ernten, zu trocknen und zu rösten und diese unter Schwerstarbeit und katastrophalen Zuständen geernteten Kakaobohnen wurden ihnen dann zu einem Scherz an Preis abgekauft. Es handelt sich beim Sarotti-„M**r“ nicht um den Hersteller eines Gebäcks, dessen Namen er dann fröhlich verwendet hat, ebensowenig, wie Diekmann’s oder andere Schaumkuss-Hersteller jemals „N***r“ waren oder diese gar fair bezahlt oder an den so millionenfach erwirtschafteten Erträgen beteiligt hätten.
Und so sehr ich denke, dass Marginalisierte selbst sprechen sollten und ich niemals mehr tun kann, als zu unterstützen und meine Hilfe anzubieten, so sehr denke ich, dass es etwas masochistisches hat, wenn man sich auf diese Art über Diskriminierung und Ausgrenzung lustig macht oder kontraproduktive Stellung bezieht. Es löst in mir ähnliches Befremden aus, wie das, was ich empfinde, wenn ich lese, wie Frauen andere Frauen herunterputzen und den Feminismus verächtlich machen. Aber ich weiß und verstehe inzwischen, dass es all das gibt. Frauen, die anderen Frauen jede Wertigkeit absprechen, cis Frauen oder queere Personen, die trans Menschen ablehnen und abwerten, Menschen mit eigenem Migrationshintergrund, die andere Menschen mit anderem Migrationshintergrund wegen der Hautfarbe, Ethnie, etc. rassistisch ausgrenzen. Juden in der AfD.
Kommen wir nun zu Ihrer Empörung über Kardinal Marx, dessen Aussage bezüglich des christlichen Abendlandes Sie ärgerlich gemacht hat. Sie nennen es: „präventive Unterwerfung“. Zunächst möchte ich vorschlagen, Ihr Verständnis von Hochmut und Heuchelei, sowie den Zusammenhang zur Aussage des Kardinals noch einmal zu überdenken. Wie unsicher muss jemand in seiner Überzeugung und seinem Glauben sein, um auszugrenzen, damit er seine Geschichte für sich beanspruchen kann? Wo ist da der Zusammenhang?
Gerade wenn ich mir meiner Geschichte, meines Glaubens, oder meiner — ein neuerdings so gern verwendetes und ebenso mißbrauchtes Wort- Identität sicher bin, brauche ich weder Ausgrenzung, noch bedroht mich eine Öffnung und Überwindung von Grenzen. Was nimmt es meiner Christlichkeit, anzuerkennen, dass es ein „christliches Abendland“ so nicht mehr gibt? Und das nicht, wegen als Naturkatastrophen bezeichneter Menschen, sondern weil es schlichte Tatsache ist, dass Religionen oder Kirchen keine Territorialansprüche mehr stellen können. Es finden keine Kreuzzüge mehr statt, die territoriale Zugehörigkeiten erzwingen und von religiösen Untertanen bevölkert werden. Was nimmt es meiner ethnischen Zugehörigkeit, diese nicht mehr an Nationalität festzumachen? Was nimmt es meiner Identität — derer ich mir sicher bin- anderen die gleiche Wertigkeit zuzusprechen?
Dann kommen Sie von der unterstellten heuchlerisch abgelehnten Ausgrenzung — wie oben schon — zu einem Vergleich, den ich nicht nachvollziehen kann. Was hat die Öffnung eines Begriffes, der faktisch schon längst keine Bedeutung mehr hat, mit der tatsächlich vorhandenen Ausgrenzung von Zugang zu Berufsgruppen zu tun? Ich mag es auch, Bilder als Beispiele der leichteren Verständlichkeit wegen zu nutzen, aber diese Beispiele sollten dann doch auch das gewünschte Bild zeichnen. Was hat die Feststellung der Ausgrenzung von vielen Menschen durch einen längst überholten Begriff mit der tatsächlichen Ausgrenzung von Menschen von Berufsgruppen oder — um noch wilder zu assoziieren- mit Tieren zu tun, die sich aus ihrer Identität gar nicht herausdenken können?
Ist es nicht vielmehr so, dass Sie oben eine beendete Ausgrenzung durch die Ablegung rassistischer Begriffe (gnädigerweise!) für gut befinden, die sie jetzt diametral dazu plötzlich verurteilen? Als ärgerlich bezeichnen?
Ein Kardinal findet, der Begriff „christliches Abendland“ sei überholt und grenze aus, was de facto so ist. Wir leben –tatsächlich- nicht mehr im christlichen Abendland, nicht nur, weil inzwischen Menschen aus aller Herren Länder mit all ihren mannigfaltigen Religionen das verschwommene Abendland als gleichberechtigt religiöse und nicht-religiöse Menschen bevölkern. Und menschliche, soziale Normen und Werte immer noch als christlich zu bezeichnen, nachdem soziale Normen in längst säkularisierten Ländern durch übergreifend menschlich-wertvolle und legislatorisch formative Regeln bestimmt werden, grenzt an Lächerlichkeit. Insbesondere, nachdem die tugendhaften Wächter der ach so gern angerufenen bedrohten christlichen Werte und in Verrohung oder Auslöschung befindlichen christlichen Traditionen, ganz unchristlich Menschen zutiefst untugendhafte und abstoßende Dinge androhen, primitivste Grobschlächtigkeiten an den Kopf werfen und ihren Mitmenschen schlimmste Verletzungen wünschen.
Nachdem die Politische Korrektheit oben hinterhältig für den nahen Tod der Meinungsfreiheit mittels des sozialen Friedens verantwortlich erklärt wurde, ist sie jetzt die, die nicht in der Realität stattfindet. Auch das ist widersinnig. Etwas kann nicht einerseits für den Tod verantwortlich sein, andererseits irreal sein. Und im gleichen Atemzug sprechen Sie nicht nur der Politischen Korrektheit die Realitätsangehörigkeit ab, sondern degradieren Menschen mit anderen Zuordnungen als binärer Mann-Frau-Einfachheit nun auch noch zum Witz. Können oder wollen Sie nicht verstehen, dass nicht Politische Korrektheit ein Phänomen hervorgebracht hat, sondern dass Menschen, die es immer schon gab, jetzt nur darum bitten (können), benannt zu werden, wie sie sich selbst wahrnehmen? Was kostet es Sie, das anzuerkennen? Was wird Ihnen in Ihrem Selbstverständnis, Ihrer Identität(?), genommen, wenn Sie anderen Menschen zugestehen, so benannt zu werden, wie sie sich fühlen und identifizieren?
Sie gestehen der Politischen Korrektheit dann zu, zumindest einen Kern zu haben, der Recht hat, anerkannt zu werden. Diese Dinge, von denen Sie sprechen, die man nicht tun darf, die obliegen allerdings nicht der Politischen Korrektheit, sondern den Rechtsbestimmungen einer Demokratie. Was „man nicht tun darf“ ist in verbindlichen Rechtsvorschriften definiert, das bestimmt nicht die Politische Korrektheit. Propagiert werden darf im Rahmen der Meinungsfreiheit, die Sie ja schon vom sozialen Frieden dahingemetzelt sehen, einiges, auch hier bestimmt die Grenzen das Grundgesetz und alle anderen Gesetze, die unserer Gemeinschaft als Regelwerk zu Grunde liegt. Auch das wird nicht von der Politischen Korrektheit, der raffgierigen, die Meinungsfreiheit meuchelnden neumodischen Erscheinung, bestimmt.
Sie sagen, „Dieser Raum des Sagbaren und Machbaren unterliegt einem ständigen Wandel.“ und führen aus, welche Wandel Sie persönlich gut finden und begrüßen. Ist Ihnen bewusst, dass wir alle diesen Raum des Sagbaren bestimmen? Ganz abgesehen von legislatorischen Formativen sprechen wir ja hier von dem, was als öffentliche Meinung — also nicht nur hinter vorgehaltener Hand, im Kreise des Vertrauens oder am Stammtisch der Vorstadtkneipe- sagbar ist, oder? Das bestimmen wir. Wir alle sagen Dinge, die wir meinen, die wir für sagbar halten, solange wir von nicht justiziablen Aussagen sprechen. Das befindet sich nicht im luftleeren Raum und wandelt sich beseelt von allein. Wir sind diesem Wandel nicht unterworfen, wir beugen uns dem nicht. Wir bestimmen den.
Wenn Sie nun also sagen, Sie halten einen 16jährigen Menschen, der seine Meinung — Gott sei Dank hat sie diese Freiheit noch, so bedroht, wie sie ist!- sagt und mutig genug ist, diese auch laut und vehement vorzutragen und sich Gehör zu verschaffen, für ein mißbrauchtes Kind, dass es zu beschützen gilt, finden Sie das also sagbar. Der haltlose Vorwurf an Menschen, die ihre 16jährige Tochter selbstbestimmt eine politische Haltung einnehmen lassen und ihr zugestehen, dafür einiges zu riskieren -wie es sich früher Demonstrierende gegen den Willen ihrer Eltern erkämpft haben- ihr Kind sei mißbraucht worden und deswegen um den Klimawandel, der die gesamte Welt betrifft, besorgt, den halten Sie für sagbar. Hat das der geisterhafte Wandel so bestimmt oder bestimmen Sie damit die Grenze dessen, was sagbar ist?Unterstellungen schlimmster Vorwürfe halten Sie für sagbar und gerechtfertigt? Fürchten aber, dass die Politische Korrektheit in Kollaboration mit dem ollen sozialen Frieden die Meinungsfreiheit meuchelt? Das verstehe, wer will.
Ich gebe Ihnen vollkommen und aus tiefster Seele recht, dass man den Holocaust niemals einen Vogelschiss nennen darf und bin sehr froh, dass Sie das vor diesem Publikum konkret gesagt haben. In der Tat hoffe ich, dass Sie als Nachfahr von Menschen, die das durchleben mussten, dem mehr Gewicht verliehen haben, auch wenn ich befürchte, dass diese Ansagen Perlen vor die Säue waren. Trotzdem Danke dafür, ich wünschte mir soviel mehr gerade Haltung dazu.
Gerade deshalb verstehe ich nicht, wie Sie dann den Schwenk hinbekommen, den Umgang mit der AfD als „alles andere als fair“ zu bezeichnen. Insbesondere den Hinweis, dass Kommentare des Inhaltes ‘wer Wind sähe, müsse damit rechnen Sturm zu ernten’ nicht angebracht wären, verstehe ich nicht. In Ihrem Beispiel bringen Sie zwei Dinge in Relation zueinander –genau wie oben beim „Judenkuchen“ und dem „N-Wort-kuss“- zwischen denen keine Relation besteht. Vielleicht ist das Ihrem Alter zuzuschreiben oder Ihrer Sozialisierung — die ebenfalls mit Ihrem Alter in Zusammenhang steht — , aber stehenlassen kann ich es trotzdem nicht.
Eine Frau, die einen Minirock trägt, bietet sich nicht an, fordert niemanden heraus und bittet um nichts, betreibt vor allem keinen Populismus irgendeiner Art, selbst wenn sie nachts nackt durch einen Wald stolpert. Wenn jemand sie angreift, ihr etwas tut, sie belästigt oder schlimmeres, dann kann auch die nachts nackt durch den Wald stolpernde Frau nichts, aber auch gar nichts dafür, dass ein anderer Mensch zum Täter wird, Gesetze bricht, einen Menschen versehrt, Böses tut oder seine Impulse nicht unter Kontrolle hat. Eine Frau ist auch im Minirock, auch nachts stolpernd nackt im Wald, ein Mensch mit unveräußerlichen Rechten, die niemand ihr nehmen darf, deren Würde niemand versehren darf, die nicht ungefragt und unerlaubt angefasst werden darf.
Eine Partei, die sich zu einer parlamentarischen Wahl stellt und dann mit einem Mandat versehen wird, Menschen zu vertreten, hat eine Aufgabe. Eine öffentlich auferlegte und wahrzunehmende Aufgabe, einen Auftrag, dem sie sich stellen muss und damit jeder Politiker, der dieses Mandat durch die Wahl seiner Partei erhalten hat. Menschen, die sich freiwillig in die Politik begeben und vorgeben, damit etwas für andere leisten zu wollen, müssen sich der Beurteilung dieser Leistung stellen. Die AfD hat bisher aber nicht nur keinerlei nachvollziehbare politische Arbeit geleistet, mit der sie beauftragt war, sondern hat im Gegenteil nichts anderes getan, als im Hohen Haus zu stören, mit sinnlosen kleinen Anfragen den Betrieb aufzuhalten und darüber hinaus unrechtmäßige Parteispenden zu erhalten, sich wieder und wieder schlecht zu benehmen, gegen sämtliche Regeln zu verstoßen, die durchaus Sinn machen und gerade doch dem erzkonservativen Geist dieser Partei entsprechen sollten.
Dazu kommen: haltlose Lügen, bewusste Verdrehungen, klare Hetze gegen alles, was nicht heterosexuell, weiß und seit 8 Generationen deutsch und katholisch ist, gerichtlich bestätigte Nähe zum nationalsozialistischen Gedankengut, Holocaustverharmlosung, Geschichtsrevisionismus und Schulterschlüsse mit rechtsextremen Vereinigungen. Tatsächlich sät die AfD permanent populistischen Wind, rechtsnationalen und –extremen Wind, hetzerischen und scharf an der Legalität vorbeischrammenden Wind und hat bisher noch keinen einzigen sinnvollen parlamentarischen Beitrag geleistet, geschweige denn jemandem — nicht mal der eigenen Wählerschaft — irgendeinen Gefallen oder Gutes getan zu haben.
Die oben erwähnte nachts nackt durch den Wald stolpernde Frau hat mit der AfD nichts gemein und lässt sich mit ihr niemals in einen Vergleich stellen. Dass Sie eine sexuelle Belästigung mit der AfD in einen Vergleich ziehen, spricht vielleicht doppelbödig auch für sich, aber es ist ein Vergleich zwischen Büroklammern und einem Hundehaufen auf einer Wiese. Nichts von diesen zwei Elementen steht auf einer Ebene und lässt sich miteinander vergleichen.
Eine Frau bittet niemals um sexuelle Belästigung, in keinem Fall und unter keinen Umständen. Sie „verdient“ niemals, in ihrer Integrität verletzt zu werden, sie sät niemals etwas, was auch nur im Ansatz als Rechtfertigung für unlauteres, ungebührliches oder strafbares Verhalten herhalten kann. Die AfD erntet aber tatsächlich, was sie sät: einen rauen, rüden, groben, unmenschlichen und gehässigen, abwertenden Umgangston, verletze Normen, Unsagbares einfach in Sagbares zu verwandeln und so zu tun, als sei es von Geisterhand geschehen oder das, was „man jawohl noch sagen darf“, gerade wenn es das eben nicht mehr ist. Die AfD begibt sich dann auch noch ständig in eine Opferrolle, die gerade belästigten Frauen permanent abgesprochen wird. Also wie auch immer Sie es drehen und wenden, aus zwei nicht in Relation zu setzenden Faktoren wird niemals ein Vergleich. Und wieder frage ich mich, wie Sie als Journalist so fahrlässig mit Worten und ihren Bedeutungen umgehen können.
Sie sprechen weiter unten von einer „idiotischen Analogie“. Dieser Vergleich gehört leider in genau diese Kategorie. Inzwischen sind wir bei folgendem Teil:
„Dabei sagte Cramer unter anderem Folgendes: „Dass man unterschiedliche Positionen hat, das gehört dazu. Es gibt Leute, die leugnen den Holocaust. Es gibt Leute, die leugnen, dass Feinstaub und Feinstaubpartikel und CO2 und Stickoxide gesundheitsschädlich sind, das gehört dazu.“ Ich versuche, mir vorzustellen, was in diesem Lande los wäre, wenn jemand von Ihnen so etwas gesagt hätte. Ich wäre unter den Ersten, die über Sie hergefallen wären.“ Wieso tun Sie das nicht? Es ist unfassbar, die Leugnung des Holocaust mit der Leugnung des CO2 — Gesundheitsproblems gleich zu setzen. Der Holocaust hat bereits stattgefunden. Wie genau CO2 die Gesundheit schädigt, wird immer noch untersucht.
Wissenschaft wächst und findet wieder und wieder neue Erkenntnisse, also tatsächlich kann man sich noch entscheiden, etwas zukünftig wahrscheinliches zu „glauben“, wahrhaben zu wollen oder eben nicht. Aber der Holocaust ist vergangene und millionenfach belegte Tatsache. Da gibt es nichts „nicht zu glauben“ und nichts zu leugnen. Es ist vollkommen egal, von wem so eine Aussage kommt, ihr muss widersprochen werden. Und ja, das ist nachweislich eine idiotische Analogie, da gebe ich Ihnen recht und sie erfordert immer Widerspruch.
Nun gehen Sie dazu über, Sich für die Entscheidung, vor der AfD-Fraktion zu sprechen, zu rechtfertigen.
Ich lese da eine gewisse Lust an der Provokation heraus, das zieht sich in mancherlei Hinsicht durch Ihren Text. Leider ist es so, dass Provokation nur selten ein gutes Mittel für Dialog oder zumindest Erkenntnissteigerung ist, insbesondere, wenn man um der Provokation willen nur pseudoprovokative Dinge aufwirft, die nicht zur Provokation taugen, weil sie viel zu viel nicht-überspitzten Kern haben. Ich glaube nicht, dass Sie Sich haben instrumentalisieren lassen, ich glaube, Sie genießen es, Sich selbst zu instrumentalisieren. Und kaum lese ich weiter, schreiben Sie genau das, als wäre es etwas frivol-revoluzzerhaftes.
Sowohl Provokation, als auch das Immer-gegen-den-Strich-bürsten ist mittlerweile zur charakterfreien Modeerscheinung geworden. Wenn alle so tun, als seien sie „anders“, alle alles angeblich „anders“ sehen, ist es am Ende keiner mehr. Wenn die äußere Darstellung eines rebellischen Geistes wichtiger wird, als tatsächlich rebellisch aufzubegehren, ist es nicht mehr als Selbstdarstellung ohne Zweck oder Inhalt.
Auch der nächste Vergleich entlockt mir nur mehr einen schweren Seufzer, wenn ich mir vor Augen halte, wie AfD-Anhänger mit der vollkommenen Sinnlosigkeit kokettieren, die Nationalsozialisten seien ja Linke oder Sozialisten gewesen, Feministinnen Feminazis genannt und Antifaschischten zu Antifa-Faschos gemacht werden sollen. Die Haltung zur AfD mit der Haltung zur DDR zu vergleichen bringt mir nur den Ausspruch des FPÖ-Politikers Strache ins Gedächtnis, FPÖ-Vertreter und –Wähler seien „die neuen Juden“.
Müssen Sie Sich wirklich in diese Fahrwasser begeben? Was nutzt es Ihnen, die ganz eindeutige Stoßrichtung der AfD zu verwässern und sowohl dieses Opfer-, als auch das Relativierer-Narrativ zu befeuern? Wie auch immer, wir kommen zum Ende. Und zu diesem möchte ich Ihnen das letzte Mal Fragen stellen.
Was hatten Sie von dieser Rede, außer dem kalkulierten und gewünschten Shitstorm und der viel zu billig erkauften Aufmerksamkeit? Was gibt Ihnen diese leere Entrüstung, aber auch die tatsächlich verletzten Gefühle, das Wissen darum, dass Sie nicht einmal mit Ihrem Appell an politische Arbeit zu Sachthemen irgendetwas bewirkt haben, außer dem weiteren Schritt zur Legitimierung separatistischer, diskriminierender, ausgrenzender, nationalistischer, elitärer, verletzender Haltungen? Was gibt es Ihnen, die Grenze des Sagbaren ein weiteres Mal verschoben zu haben und einen Wandel zu befeuern, der niemandem auch nur im Ansatz etwas Gutes bringt?
Tun Sie mir einen Gefallen? Schauen Sie einmal, was die FPÖ in Regierungsverantwortung ihren eigenen Wählern antut. Dem „kleinen Mann“, als dessen Partei sie sich wieder und wieder deklariert haben. Schauen Sie Sich an, was eine solche Partei aus Sachthemen macht, denen Sie nicht gewachsen ist, weil Sie nichts anderes kann, als populistischen, braunen, rassistischen, wieder aufgekochten Nazi-Mist zu verbreiten.
Wenn Ihnen das als Preis für Ihre Portion Aufmerksamkeit und mediale Aufregung mit Ihrem Namen im Zentrum wert ist, dann sollte es wohl so sein, aber es ist furchtbar traurig und erschütternd, dass Sie Ihre Stimme nicht anders nutzen können und sich keine andere Form der Verwirklichung vorstellen können.
Beste Grüße