Mutter werden ist nicht schwer

„Versetz‘ Dich doch mal in die Lage des Vaters. Der konnte sich doch gar nicht vorbereiten, so wie Du. Der muss sich einfach noch ein bißchen an all das Neue gewöhnen!“ ist mein persönlicher heißer Favorit für den Preis „größter Nonsens aller Zeiten“ und verdient meines Erachtens auch jetzt noch -aus 14 Jahren Entfernung betrachtet- eine veritable Watschn.

Ich verstehe natürlich den Gedankengang, dass demjenigen Menschen, in dem das Kind bis zur Geburt heranwächst, unterstellt wird, zumindest körperlich eine Ahnung davon zu haben, was sich da gerade zusammenbraut. Aber ich muss diese Unterstellung leider auf‘s Schärfste zurückweisen.
Nur weil sich in meinem Körper ein Uterus befindet, in dem sich sogar schon ein Kind eingenistet hat und bis auf mittlere Elefantenbabygröße angewachsen ist, bevor es sich entschieden hat, es sei endlich zu eng, bzw. die maximale Dehnungsweite meines Bindegewebes sei ausgeschöpft, heisst das nicht, dass ich auch nur im Mindesten darauf vorbereitet war, was da am Horizont vor sich hin dräute.

Kein einziges der vielen Baby-, Geburts-, Kinder-, Erziehungs-, Ratgeber-, Selbsthilfe- und/ oder Eltern-Bücher hat mich auf insgesamt 3 Wochen lang blutende und alle 2 Stunden neu aufgerissene Brustwarzen vorbereitet (der Kelch des Dammrisses/-schnittes ist Dank Sternenguckerlage und dem darauf zwingendem Kaiserschnitt an mir vorübergezogen) oder auf 3 Jahre Schlaf maximal 3 Stunden am Stück. Zwischen all der rosaroten Lyrik zur glücklichen Mutterschaft und den rosigen Wangen der blanken Freude, die das Dasein als Mutter einem angeblich ewiglich einbringen soll, standen eventuell auch 3 Worte, die vorsichtig darauf hinwiesen, es könnte im allerschlimmsten und seltensten Fall eventuell möglicherweise vielleicht zu klitzekleinen Ruckeleien im reibungslosen Ablauf der trauten Zwei-, Dreisamkeit von MutterVaterundKind kommen, aber selbst das eher selten und auch nur ausnahmsweise.

Der Fokus dieser drei Worte lag -und das hat mich während der Lektüre erschreckenderweise noch nicht einmal müde mit den Schultern zucken lassen- darauf, wie sich die junge und natürlich überaus glückliche und vollauf in der Mutterschaft aufgehende Frau bitte auch nach Ankunft des engelsgleichen neuen Erdenbürgers weiterhin tunlichst um die Bedürfnisse des nun zunächst unnützen Vaters sorgen solle, denn man ist ja nicht nur Mutter und Vater, sondern auch noch ein Paar. Dass das an sich schon paradox ist, dass nur einem Teil eines Paares gesagt wird, er befände sich in ebendiesem und solle sich um den Bestand dieses kümmern, ist mir damals irgendwie auch entgangen.

Nein. Ich war nicht vorbereitet und kein einziges Buch voller kitschiger, gutmeinender, rosaroter oder hellblauer, glückselig trunkener Huldigung eines angeblichen Wunders der Natur hat mich auch nur im Ansatz darüber informiert, was die Mutterschaft für mich bedeutet.

Ich liebe mein Kind. Es ist das beste, schlauste, niedlichste, frechste, lustigste und geduldigste Kind der Welt. Hätte ich mir ein Kind aus Eigenschaften und Eigenheiten zusammenbauen können, wäre es nicht halb so fantastisch geworden, wie meines selbst jetzt in der Pubertät ist.
Trotzdem war ich auch nach 9 Monaten Schwangerschaft, unzähligen Büchern, millionen ungebetener Ratschläge vornehmlich Wildfremder oder Kinderloser, gutgemeinten Hinweisen von Frauen anderer Generationen und der Begleitung von zig anderen Frauen, die schon Mütter waren, nicht vorbereitet.

Weder auf die vollkommene Ohnmacht gegenüber der Besetzung meines Körpers, noch auf die Funktion meiner Brüste. Weder auf den Biss, den man entwickeln kann, auch dieses Mal die Schmerzen wieder auszuhalten, weil das hilflose, aber schon eigensinnige Baby die Möhrchen verweigert und sich eben nicht an den nach-4-Monaten-Abstillplan hält, noch auf die Genügsamkeit, die man gegenüber vollgekotzter Lieblingsbücher entwickelt, die man seit Kindertagen wider aller Umstände gerettet hat, wenn der Zeitraum, in dem man nie länger als drei Stunden schlafen kann, nur ausdauernd genug ist. Weder auf das tanzende Herz, das tatsächlich einsetzt, wenn man sich plötzlich Hals über Kopf in den Minimenschen verliebt, der mit klitzekleinen Nägeln die Muttermale am Hals aufkratzt, noch auf die adrenalinbefeuerte Todesangst, wenn das gerade zum Teufel gewünschte nervigste Balg der Welt auf der Wendeltreppe fällt und man gleichzeitig in Zeitlupe den Sinn des eigenen Lebens flöten gehen sieht, sollte das Kind verletzt sein oder schlimmeres. Weder auf die Gedanken, was man dem eigenen Kind eventuell alles antut, weil man selbst so kaputterzogen wurde, noch auf die unbändige Lust, alles einfach so zu machen, wie man es für richtig hält, weil das rotzfreche Mistmadenkind Eigenschaften und Mut hat, um die man es fast beneidete, wüsste man nicht, man selbst ist der Quell dieser überbordenden Selbstsicherheit.

Am wenigsten vorbereitet wird man zu guter Letzt und bei aller Liebe aber darauf, was es mit einem macht, etwas zu werden -ohne sich dessen bewusst zu sein- was man nie wieder ablegen kann.

Und das ist es, was ich bei Vätern in den seltensten Fällen ganz gleich oder auch nur vergleichbar erlebt oder gesehen hätte:
Mutter ist man, vom Moment an, in dem das Kind außerhalb des Körpers atmet und Bedürfnisse hat. Ob man will oder nicht. Man hängt sein Leben, sein Dasein als eigenständiger und eigenverantwortlicher Mensch an einen Haken im Kreissaal, neben unzählbare alte Leben anderer Frauen.
Selbst jetzt noch, mit einem 14jährigen Kind, das sehr selbstständig ist, mich wieder ausgehen lässt, fast schon ein eigenes Leben außerhalb des gemeinsamen führt, kann ich mich nie der Verantwortung auf meinen Schultern, Damokles-Schwert-artig in meinem Nacken schwebend und all meine Poren durchdringend, entziehen.
Ich kann das Kind gehen lassen, vertraue ihm über die Maßen, genieße all seine Offenheit und sein Vertrauen in mich, erlebe -schon immer- jeden Schritt seines größer werdens (sich äußern können, gehen können, Kindergarten, Schule, Freunde…) mit unbändiger Freude. Trotzdem bin ich verantwortlich. Für sein Erleben, für seine Begegnung mit der Welt. Selbst wenn ich -inzwischen!- entspannt ausgehe, sogar schon 3 Tage und 2 Nächte unterwegs war und wusste, es geht ihm gut; oder das Kind bei seinem Vater ist und ich weiß, es gibt nach seinem Zuhause keinen besseren und sichereren Ort für ihn, als diesen…bringt es mir manchmal Schnappatmung.

Dieses: sich für ein anderes Wesen verantwortlich zu fühlen und zu wissen, dass man das nie wieder wird ablegen, abstreifen können. Dieses: sich für das Wohlbefinden eines Menschen in der Welt und in seinem Leben verantwortlich zu fühlen. Dieses: sich jede Fehlentscheidung klar zu machen und zu erwarten, dass dem Kind deshalb irgendwann irgendetwas nicht leicht fällt oder es sich vielleicht genau wegen dieses einen Fehlers an einem Wegpunkt falsch entscheidet. Dieses: hätte ich mehr auf dies und das verzichten müssen, nicht arbeiten, mehr arbeiten sollen oder müssen, hätte ich dieses oder jenes anders beantworten, auffangen müssen oder sollen, hätte ich besser mehr oder weniger gefordert, erbeten oder erstritten…

Auf diese Gefühle bereitet einen gar nichts vor und die sind es, die mich dazu brächten -trotz der unfassbaren Liebe zu diesem Kind und all der Dankbarkeit, die ich empfinde, genau dieses bekommen zu haben und trotz meines starken Realitätssinns und der vollständigen Abwesenheit von was-wäre-wenn-Gedanken- mit all dem Wissen um diese Gefühle in einem anderen Leben nicht noch einmal Mutter zu werden.