Bloßes Sein

Es kann sein, dass ich das nicht gut auf den Punkt bringen werde, aber ich will es trotzdem schon einmal aufschreiben. Weil es in den letzten Tagen ein paar Tweets gab, die in mir das gleiche auslösen, obwohl sie ganz andere Sachen benennen. Sehr häufig verstehe ich Reaktionen und Herangehensweisen von Leuten an andere Leute nicht und vielleicht geht es anderen auch so.

Also zum Beispiel die Belegung von schlichten Verhaltensweisen mit oft mehrfacher Wertung. Unpünktlichkeit = Respektlosigkeit, Achtlosigkeit usw.. Sehr, sehr viele Eigenschaften und Verhaltensweisen von Menschen sind für mich einfach, wie sie sind. Jemand hat kein Verhältnis zu Zeit? Bekommt dann noch Kinder, also menschliche Eigenwesen und damit Chaos gleich gratis dazu? Dieser Mensch ist häufig unpünktlich. So.
Das hat meines Erachtens genau gar nichts mit mir zu tun, nicht mit Respekt oder irgendwelchen Charakterzuweisungen, sondern es ist einfach so. Wenn ich die Person mag, dann ist das ein Faktor, der zu dieser Person gehört. Zum Thema würde es dann, wenn die Person mir sagte, sie leidet darunter, möchte es ändern, dann können wir darüber sprechen und Pläne machen. Aber für mich steht Unpünktlichkeit (als Beispiel) in keinem Verhältnis zu mir und deshalb füge ich der Eigenschaft keine Wertung zu.

Mich nervt z.B. so Trantütigkeit, ich hatte mal eine Mitbewohnerin die sich fertig abgeschnallt hatte, wenn ich mi dem halben Einkauf fertig war. Da das einfach eine ihrer Eigenschaften war, ich das aber nicht gut ab kann, haben wir einfach bestimmte Dinge nicht mehr zusammen gemacht. Also weder hat sie meine Ungeduld als etwas anderes gewertet, noch ich ihre Langsamkeit. Und wenn wir etwas Schönes zusammen unternehmen wollten, habe ich zum Beispiel nicht gleichzeitig mit ihr angefangen, Badesachen einzupacken, sonst wäre mir der Schädel geplatzt, bis wir unterwegs waren & sie hätte meine Hibbeligkeit gestresst.

Noch weniger verstehe ich das bei Erwachsenen gegenüber Kindern und Teenagern. Also diese Überfrachtung von subjektiver Störung mit Charaktereigenschaften als Fehlern. Wir sollen denen ja zeigen, wie Erwachsensein geht und wenn es Tausende und Abertausende verschiedene Erwachsene gibt, wieso dürfen es Kinder und Teens nicht sein? Wieso ist ein Kind respektlos, wenn es vergesslich ist oder unerzogen, wenn es laut ist? Dieses Kind ist lauter, dieses ist leiser. Zu der Hinnahme, dass etwas einfach ist und weder schlechte Intentionen noch schlechten Charakter bedeutet, gehören meines Erachtens Verhaltensweisen, aber auch Orientierung usw.

Ein Kind, Teenager oder allgemein Mensch IST dies und das, ob ich das nun immer kenne oder verstehe, es IST halt einfach so. Nicht im Sinne von egal oder dass es mir gleichgültig wäre, sondern im Sinne von: das ist eine Tatsache. Realität. Meine Frage wäre maximal: Geht’s Dir gut damit? Oder ist es ein Thema zum Besprechen oder ist es gar was, was Du gern ändern würdest? Dann komm’, das machen wir.

Aber immer ist es ERST ein IST und nur dann zu bewerten, zu verändern usw., wenn die Person es selbst so empfindet, finde ich. Hab mir dazu gerade in den unaufhörlichen Angriffen auf trans Personen oder inzwischen ja auch ganz offen wieder LGBTQIA+ Feindlichkeit viele Gedanken gemacht, weil ich zu 100% nicht verstehe, was das mögliche trans sein meines Kindes, Geschwisters usw. mit mir zu tun haben sollte, also woher diese ganzen Elterntrauergeschichten oder eben auch das ganze widerkehrende “ichbineineFrau”-Terf-Drama kommt, weil ich es wirklich nicht verstehe.
Mein Gegenüber ist einfach das, was es sagt. Das steht zu mir in keinem Verhältnis. Warum soll ich das bewerten? Wenn das Gegenüber dann erklärt, was ihm an Rechten abgeht, an wievielen Stellen es nicht frei leben kann, dann ist die Stärkung dieser Rechte, das hinter Betroffene stellen und ihre Anliegen stärken für mich ein Gebot, weil Ungleichheit keine Legitimität hat. Aber es steht nicht mit mir und meiner Position in Verhältnis, es stärkt mich nur auch, wenn wir mehr werden, die zusammenstehen.

Also das mag vielleicht verwurschtelt klingen, weil Verhalten wählbar ist und nicht das gleiche, wie nicht wählbare Identität, aber für mich gehört das alles zusammen zu einer Person. Und wenn ich persönlich eine Person in Summe nicht mehr mag, weil spezifisches Verhalten mich stört, dann ist es meine Sache, das einzusehen und mich auszuklinken. Aber selbst dann muss ich Leute nicht mit Wertungen überschütten, jedes Verhalten oder gleich die ganze Identität mit negativen Attributen versehen und es damit ja auf mich beziehen.

Natürlich erkenne ich, wenn Leute sich wirklich mies verhalten. Aber auch das steht nicht wirklich im Verhältnis zu mir, sondern gehört zu der Person, die dann halt einfach nicht meine ist. Selbst Menschen, die ich nicht alle mag, sind einfach erstmal. Und natürlich müssen Kinder Richtlinien kriegen, was gutes Miteinander ist und was nicht, sie sind von Geburt an gleichwert zu respektieren, aber müssen ja in die Welt begleitet werden. Aber auch hier z.B. ist Respekt halt was ganz anderes, als – Pünktlichkeit. Zimmer aufräumen.

Also ist das irgendwie verständlich? Wieso muss ich wüst über Leute maulen, sie mit allerlei schlechten Eigenschaften belegen, weil Teile der Person oder Ausdruck der Person im Verhalten mich persönlich stören? Es gibt natürlich Regeln, doe sinnvoll sind und Pünktlichkeit kann z.B. bei der Behörden- oder Arztterminvergabe wichtig sein, weil sonst Fristen verpasst, Krankheit schlimmer werden usw.. Aber warum hänge ich Freundschaften an (z.B.) Pünktlichkeit auf? Und sehr häufig vor allem dann, wenn menschliche Unfeinheit, Verrat, Übergriffigkeit und dergleichen unkommentiert bleiben?

Es wird am Ende so sein, dass ich einfach sein will und selbst nicht ständig bewertet werden will, nicht Performances leisten müssen will und die meisten zwischenmenschlichen Bühneninteraktionen mit schicker Maskerade mich total langweilen. Oder dass das ein Prinzip ist, dass mir häufig als nicht verstanden auffällt. Dass Dinge sich nur beschauen und gegebenenfalls verändern oder verbessern lassen, wenn der Ist-Zustand zu allererst wahr- und hingenommen wird. Dass etwas nicht besser wird, wenn man es nicht benennt, anschaut und den Status Quo als solchen akzeptiert.

Wie auch immer, ich stoße mich sehr an sehr vielen Regeln und was alles angeblich normal sein soll, wenn meine Realität sagt, dass Regeln mir keine Community bringen und es kein einheitliches Normal gibt. Und Unterschiede, Eigenheiten, Gelächter über sich selbst und liebevolle Akzeptanz anderer und meiner selbst mir ein sehr viel besseres Leben und Gemeinsamkeit verschafft, als pünktliche Eltern adrett gekleideter Kinder, die bitte niemals auffallen, geschweige denn “stören” oder Frauen, die andere Frauen ausschließen und mutwillig unter den Patriarchenbus werfen.

Dieser Beitrag ist zuerst auf Twitter erschienen und wurde der besseren Lesbarkeit zu Liebe redigiert.