Auf Bluesky schrieb die kluge und engagierte Strafverteidigerin Christina Clemm “Wenn Menschenrechte nur noch als Deutschenrechte verstanden werden, dann kann man unbeschwert das Sterben an Europas Grenzen vorantreiben.”
Das ist eine absolut zutreffende Beobachtung, tatsächlich glaube ich aber, dass es sich hierbei nicht um eine zukünftig drohende Problematik handelt oder das eine Verhandlung ist, die zu einem zu eruierenden Zeitpunkt als Fehlentwicklung entstanden ist und seitdem in immer neuen Wellen rechter Umtriebe, sich vertiefender Ungleichheit und Erstarken autoritärer, rechter Positionen, Gruppen und Parteien aufkommt.
Meines Erachtens ist eben dieses Prinzip spezifischer Grundsatz der Gesellschaftskonstrukte, in denen wir leben. Es entstehen nicht im eigentlich guten Grundgerüst, das für alle gleich gut sein sollte – leider, schade – ein paar fehlgeleitete rechte Umtriebe oder sich abnormal entwickelnde Unmenschlichkeiten, sondern exakt diese grundsätzlich ungleiche Sortierung in wert und unwert, Menschenrechte selbstverständlich beansprucht und Menschenrechte auf dem Vergabeprüfstand, IST das Grundprinzip.
Ein (Feudal-)Konstrukt, dessen Intention es ist, dass von ihm zu jeder Zeit nur sehr Wenige profitiert haben, immer noch profitieren und profitieren sollten, in dem einigen Mehr gestattet ist, es sich zu drehen und zu wenden, wie sie es gerade brauchen und sehr, sehr viele Menschen jederzeit um ihre Rechte, ihre Unversehrtheit, ihre Integrität und ihre angstfreien Existenzen bangen müssen, der Verhandlung ihrer Werte ausgesetzt sind.
So in steter Bedrohung gehalten konnten Menschen schon immer sehr gut und einfach ausgegrenzt und ausgebeutet werden, das hat sich bei allen sozialen Anstrichen und Initiativen bis heute nicht tiefgreifend geändert. Sehr, sehr viele Menschen werden immer noch schon qua Geburt, Geburtsort, Ethnie oder Religion der Eltern als nicht gleich-wert oder gleich-berechtigt universeller Menschenrechte definiert, ohne dazu jemals konkret etwas beigetragen zu haben oder es ändern zu können. Es kann mir keiner erklären, dass das nicht genau so für einen zwar nicht mehr feudalen, sondern namentlich republikanischen, also für den modernen demokratischen, den trotzdem unantastbar patriarchalen, weißen Kapitalismus gedacht war, sondern leider nur wieder und wieder in Wellen den immer gleichen Gruppen so passiert.
Genau diese Art Denken, diese – dank Prägung ganzer Generationen von Geburt an – als inhärent empfundene Hierarchisierung von Menschen anhand willkürlich spezifizierender Merkmale, ausgedachter Zuschreibungen und realer Zugehörigkeiten entspricht dem so intendierten Grundprinzip, ganz unabhängig von seiner konkreten Bezeichnung.
Diskriminierungsformen, bzw. die sie definierenden Wertungen wurden erfunden, um ein Konstrukt bauen zu können, in dem gerechtfertigt ist, dass einige Menschen über andere – eigentlich gleiche – Menschen Macht haben und diese widerspruchslos ausüben dürfen. In dem wenigen bestimmten Menschen die Legitimation erteilt wird, sehr viel mehr bestimmte Menschen auf auszubeutende und als Kanonenfutter zu kalkulierende Verwertungsposten zu reduzieren und über sie bedenken-, aber vor allem konsequenzenlos wie Tiere oder Dinge zu verfügen. Rassismus ist nicht irgendwann aus Zauberhand über uns gekommen, die sogenannte Lehre menschlicher Rassen, also die Grundlage dafür, Menschen anhand ihrer äußeren Merkmale, Geburtsorte oder Ethnien in Verschiedenartigkeit zu sortieren, wurde kreiert, um Ungleichbehandlung auf Grund von Ungleichwert zu rechtfertigen. In Konsequenz, um Menschenhandel und Sklaverei ohne moralische oder ethische Bedenken zu praktizieren. Wenn Menschen ihr Menschen(gleich)wert abgesprochen wird, müssen sie nicht mehr menschlich angemessen, einem Menschen wert, behandelt werden. Oder andersherum ist die menschenunwürdige oder unmenschliche Behandlung gar nicht oder zumindest weniger zu hinterfragen, leichter zu rechtfertigen und bleibt vor allem für immer konsequenzenlos. Zu guter Letzt “wussten sie es nicht besser” und das gilt als diskussionsbeendende Formel für nahezu alle kritisch beleuchteten Spitzen der Verrohung, die sich in abgeschwächter Form bis heute finden. Wenn nicht in konkreter Ausführung, so aber immer in lebendigen Grundannahmen über den Un- oder Wenigerwert anderer Menschen.
Das Konstrukt, gebaut auf allerlei erfundenen Lehren und den daraus resultierenden nun berechtigten Diskriminierungen, muss diese wie in einem perpetuum mobile permanent reproduzieren, um sich ein ums andere Mal selbst zu rechtfertigen und zu bestätigen. Jede redundante Verhandlung von Lebens- und Existenzrechten von Menschengruppen bekräftigt und reproduziert das sie erst begründende Konstrukt, denn eben dieses soll unter all den Diskussionen und Verhandlungen bloß niemals grundsätzlich in Frage gestellt werden.
Von denen, die auf der Privilegienseite stehen, ohnehin nicht – warum sollten sie auch die eigene ungerechtfertigte Bevorzugung in Frage stellen, aus der sich inzwischen eine vollkommen selbstverständliche, quasi natürliche oder auch gern gottgegeben genannte, Anspruchshaltung aufgebaut hat? Zumal Privilegierte eben diese ihnen zugänglichen Privilegien in den meisten Fälle nicht einmal wahrnehmen, geschweige denn benannt wissen wollen. Leider stellen aber eben auch viel zu wenige der Nichtprivilegierten Fragen. Im Gegenteil, diese Vorgabe eines angeblichen Normal hat den Effekt, dass selbst eigentlich nicht profitierende Unterdrückte sich eher über die Weitergabe und Verstärkung der eigenen Unterdrückung und Bedrohung an Andere – in der Hierarchie schwächer Positionierte, mehrfach Marginalisierte – ein Gefühl der Macht verschaffen, als über Bewusstwerdung der eigentlichen Überzahl, aber vor allem als über Infragestellung des gesamten Konstrukts. Damit fühlt sich die eigene Position wenigstens besser an. Solange immer noch jemand unterdrückt werden kann, noch weiter unten steht, ist gesichert, dass das Prinzip selbst von den Benachteiligten aktiv weiter und weiter erhalten oder sogar gestärkt wird. Denen die es überhaupt in Frage stellen, begegnet wieder und wieder der Furor patriarchaler, weißer Übermacht, in der Vorhut immer die dümmsten Kälber und glücklichsten Sklaven.
Der willentlichen Ignoranz oder auch der bewusst wahrgenommenen Ungerechtigkeit der eigenen Position im Gefüge, der man aber hilflos ausgeliefert ist, entspringen dann unendliche Diskussionen darum, ob sich Menschen nun aufgrund von Bildungs- oder Charaktermängeln religiös oder politisch radikalisieren. Davon kann man sich so schön bildungssnobistisch abgrenzen oder auch mit der eigenen Charaktergüte trumpfen.
Es wird die Frage gestellt, ob manche Menschen z.B. einfach böse sind und sich das als rechtes Gedankengut manifestiert – obwohl das rechte, dem Grundsatz nach autoritäre Gedankengut in den meisten Fällen in sehr harmlosen Äußerungen, Regeln und Annahmen permanent präsent ist, nur in seiner Normalität nicht als solches wahrgenommen wird. Oder es werden Danke Merkel und Thanks Obama zur Verantwortung für AfD und Trump verpflichtet.
Es ist ein kunterbuntes Verantwortungsgeschacher, während Menschen mit Privilegien und Macht in satt gegessener Bequemlichkeit erklären, dass Traditionen und Konventionen bitte um jeden Preis zu erhalten wären, auch wenn sie einem selbst angeblich oder doch lieber anderen – ohnehin Benachteiligten – nachweislich schaden. Und das ausschließlich -scheiß auf Konventionen sollte das ehrlichere Credo sein – zum eigenen Positions- und Statuserhalt. Die Floskeln werden aber trotzdem zum Aufschrei und Demoschild vollkommen Unbeteiligter. Wohlstand vor Klimaschutz. Die armen reichen Leute müssen sich eh schon genug einschränken und fahren die teure Limousine nur noch mit moralischen Skrupeln, nun muss es einmal genug sein. Es mag zwar tausendfach prognostizierte Folgen haben, sehr viele Menschen werden vor der unausweichlichen Flucht aus menschenfeindlichem Klima noch sterben, bevor sie es in gemäßigtere Klimazonen schaffen, aber nun muss es einmal genug sein mit den Einschränkungen deutscher Freiheit. Wer will denn nur noch 130km/h fahren? Eine Wärmepumpe soll man einbauen, diese Gängelung. Es muss einmal genug sein mit den Einschränkungen. Schon klar, dass Leute in Indien, Australien, Afrika heute schon mit dem Klima zu kämpfen haben, dessen größte Verursacher nicht sie, sondern ihre ehemaligen Kolonialherren sind. Aber deswegen müssen sich doch reiche Leute nicht in ihrem Urlaubsgebaren einschränken, das bißchen Bootskraftstoff ändert nun wirklich nichts an Überschwemmungen in Pakistan. Nun muss es aber einmal genug sein. Sollen sie doch Kuchen essen.
Aber selbst Menschen, die an diversen Stellen progressive politische Haltungen vertreten, menschenfreundliche Meinungen äußern, Mißstände vorgeblich akut beheben wollen, stoßen immer dann an innere Grenzen, wenn es darum geht, anderen den tatsächlich gleichen Wert zuzusprechen und im Sinne dessen an einer Problemlösung zu arbeiten. Sehr plötzlich kann mittels unzähliger Vorurteile – die als belegte Fakten verdreht, ihre Entstehung und Folgen ignoriert werden – anderen Menschen die Versagung ganz basaler Rechte als berechtigt erklären werden. Wie kommen Menschen, die bisher selbstverständlich benachteiligt, ungleichwert waren, überhaupt dazu, in einer Haltung der Ebenbürtigkeit Forderungen mit Nachdruck vorzutragen. Nu’ aber nich’ in diesem Ton, Frollein.
Menschen, die sich für Arbeitnehmer(!)rechte einsetzen, aber Quoten plötzlich als schlimmsten Feind der Gleichberechtigung sehen. Wir werden doch nicht tatsächlich einfordern wollen, dass das Weibsvolk einen Platz am wichtige-Entscheidungen-Tisch bekommt, obwohl männerbündische Kumpeleien das bisher erfolgreich verhindert haben? Wir haben doch hier unzählige Beweise erstklassigen Sexismus’, warum die hysterischen Zicken nicht zu nüchternen Entscheidungen fähig sind.
Leute, die sich für die Rechte Homosexueller einsetzen, aber trans Menschen schon den ungestörten Toilettengang verwehren wollen. Wir werden doch bei aller Regenbogen-menschlicheExoten-Freundlichkeit nicht tatsächlich Menschen einfach als normal annehmen wollen, so wie sie sind, obwohl wir das bisher bei sehr regenbogigen Marketing-Aktionen zum Geldscheffeln so propagiert haben? Wir haben doch hier unzählige irrationale Ängste und erfundene Geschichten, warum man diesen Leuten keinesfalls das Recht zur Selbstbestimmung über den eigenen Körper zusprechen darf.
Dieses Verhalten, diese Widersprüche sind vielleicht nur Versuche, sich selbst zu ermächtigen, sich der Erkenntnis der eigenen Ohnmacht zu verweigern. Oder es ermöglicht, sich über individuell moralisch wertvolleres Verhalten wieder über andere zu erheben, womit Gleichwert ohnehin verunmöglicht wird. Auffliegen tut die Überzeugung der eigenen Überlegenheit (auch bei tatsächlicher Ohnmacht gibt es immer eine*n mit mehr Ausschlußkriterien, als ich sie habe) spätestens dann, wenn den progressiven Elogen folgend ehrliche Aktion, bewusstes Handeln und reale Gleichbehandlung eingefordert wird. Wenn Menschen, denen man sich großzügig zeigen wollte, einen plötzlich beim Wort nehmen, sich selbst ebenbürtig werten und in Sprache und Anspruchshaltung dementsprechend agieren.
Nur die Legitimation des Prinzip, die Berechtigung zur Annahme und Ausübung von Privilegien und Verfügungsmacht über andere Menschen, die existenzielle Basis für dieses Konstrukt, innerhalb dessen wieder und wieder Ungleichbehandlung mit hanebüchenen Folgewidrigkeiten begründet werden soll, die wüsste ich immer noch nicht. Wer hat wann gesagt, dass das ok ist? Ja, bitte erlaube mir großzügigerweise einen Teil der Rechte, die Du ganz selbstverständlich inne hast. Wann war das eine gute Idee? (Vermutlich muss ich mich auch mit dem Christentum auseinandersetzen.)
Bei all dem geht es nicht nur um die im Zitat zu Beginn genannten Deutschen. Die Rechte nur zu ihren Gunsten auslegen oder sich für menschlich wertvoller und damit berechtigter halten, allgemein beanspruchte Rechte auch verwirklicht zu sehen (bspw. Migration innerhalb der EU, aber in Wirklichkeit auch freie Einreise in alle anderen Länder dieser Erde), während die anderer für verhandlungsfähig gehalten werden (bspw. Migration von Menschen außerhalb der EU, aber auch stigmatisierter Staaten innerhalb der EU – Französ*innen immer herzlich willkommen, Rumän*innen dann lieber doch nicht). Das Prinzip gilt meines Erachtens einerseits für alle Angehörigen der Idee der Nation – auch Amerikaner*innen, Spanier*innen, Schwed*innen glauben, ihnen stünde Freiheit und Achtung ihrer Menschenwürde zu, die sie nahezu täglich anderen selbstverständlich absprechen – aber vor allem gilt es auch in allen erdenklichen sozial, demographisch oder politisch kategorisierbaren Teilgruppen aller Bevölkerungen.
Gruppenzugehörige definieren Menschenrechte jederzeit als ihre spezifischen Gruppenrechte:
Männer-, Weißen-, Weißemännerrechte, Reichen-, Weißereichen-, SeitGenerationenreichenrechte, Gebildeten-, oder Nichtbehindertenrechte, Christ*innenrechte usw..
Je nachdem welche der sie betreffenden sozialen und politischen Kategorien gemeint ist und wen sie gerade – ihrer Definition nach berechtigt – ausschließen möchten. Natürlich leben wir im Jahre 2023, Gleichberechtigung steht im Gesetz und in Deutschland werden die wenigsten offen fordern, Behinderten aufgrund der Behinderung das Menschenrecht zu verweigern oder Frauen aufgrund ihres Geschlechts eine Konteneröffnung nur unter Aufsicht und mit Genehmigung ihrer Ehemänner zu erlauben. Es arbeiten aber beispielsweise Behinderte in Werkstätten – was vorgeblich zu Inklusion führen soll – und große Unternehmen profitieren von dieser Arbeit Behinderter auf dem sogenannten zweiten Arbeitsmarkt (z.B. Siemens, Volkswagen, Puky). Diese Arbeit in Werkstätten, mit denen Unternehmen einen Milliardenumsatz erzielen, wird mit 200€/Taschengeld monatlich bezahlt. Menschen sind mit 200€/monatlich niemals in der Lage, sich eigenständig aus dem Bezug von Bürgergeld oder Sozialhilfe heraus zu arbeiten, bzw. sich eigenständig zu versorgen. Obwohl sie arbeiten und ihre Arbeitsleistung nicht unerheblicher Bestandteil der Wirtschaft ist. Um dieses System zu Recht zu erklären, wurden kurzerhand Kategorien erschaffen: Menschen in Behindertenwerkstätten sind Beschäftigte, keine Arbeitnehmer*innen. Diese Unterscheidung erlaubt o.g. Bezahlung und die Verweigerung von Arbeitnehmer*innenrechten. Die Begrifflichkeiten sind eine klitzekleine Sache für die Rechtmäßigkeit laut Gesetzgebung, aber eine große Sache für die reale Gerechtigkeit, denn anderen Werktätigen gegenüber sind Behinderte hier an keiner Stelle gleichberechtigt und können es dank Guss in Gesetzestext auch nicht werden (solange es so besteht). Diskutiert und argumentiert wird zu diesem Thema sehr häufig von Nichtbehinderten, die ihre Definition von Arbeitsleistung, bzw. Leistungsvermögen für sakrosankt halten und auf Basis dieser die Leistungen anderer bewerten. Und das wiederum auf der Grundlage, dass sie es per se – dank der eben nicht vorliegenden Behinderung – besser beurteilen könnten und es an ihnen sei, Behinderten in ihrer Rolle als Arbeitnehmende, bzw. Arbeiter*innen Entlohnung, Wertung und Rechte als ebensolche zu verweigern oder zuzusprechen. Worauf beruht diese Form der selbstverständlichen Annahmen? Auf dem bestehenden gesellschaftlichen Grundgerüst, in dem Behinderte Nichtbehinderten eben nicht gleichwertig gegenüberstehend gewertet werden. Hier werden Menschenrechte zu-, bzw. abgesprochen, ob man es so benennt oder nicht. Die Gruppe der Nichtbehinderten definiert hier Nichtbehindertenrechte, die Behinderten nicht in der gleichen Form zugestanden werden. Und das ohne nachvollziehbare Legitimation, denn so lange dieses Grundgerüst unserer Gesellschaft auch bestehen mag, für die Ungleichwertung von Menschen gibt es keine logisch erklärbare, faktenbasierte Legitimation. Denn Menschenrechte hängen eben nicht von able-bodied Leistungsfähigkeit ab oder von der Fähigkeit die Sprache des Landes zu sprechen, in dem man gerade lebt.
Es gibt den Spruch “Frauenrechte sind Menschenrechte”, aber sehr viele Frauen können schon den Begriff Frauenrechte nicht als solches stehen lassen, nicht allen sich als Frauen definierenden Personen zuerkennen, sondern würden es gern cis-hetero-Frauenrechte nennen, um eindeutig klarzustellen, dass auch sie Menschen ausschließen und gegebenenfalls unterdrücken können, weil sie willkürlichen Merkmalen, die inkludierend oder exkludierend wirken, nicht entsprechen. Wobei sie dabei für sich noch in Anspruch nehmen, eben keine cis oder hetero Zuweisung zu brauchen, da sie ja ‘richtige‘ Frauen sind und alle anderen eben nicht – sollen die doch Zusätze verwenden, aber am besten eben nicht zum Begriff Frau.
Bei diesen und allen anderen Vorgängen und ihnen dienenden Rechtfertigungen dieser Art wird gern komplett ignoriert, dass die verwendeten Ausschlußkriterien und Begründungen, sowohl ursprünglich als auch beliebig angepasst, jederzeit zur Kontrolle und Unterdrückung ihrer eigenen Zugehörigkeit konstruiert wurden. Exakt die sogenannten Gründe, die cis Frauen benutzen, um trans Frauen auszuschließen sind es, die zuvor von Männern, bzw. Mächtigen erdacht wurden, um Frauen zu unterdrücken, zu kontrollieren und auszubeuten. Heterosexuelle Männer schließen homosexuelle Männer als ‘nicht richtige’ Männer aus, Frauen mit Uterus Frauen ohne Uterus, weiße Frauen schwarze Frauen, cis Frauen trans Frauen – alle als jeweils wie auch immer begründete ‘nicht richtige‘ Menschen spezifischer Kategorie und das querbeet noch über alle Marginalisierungen hinweg. Hinzu kommt, dass Menschen dieses von Geburt an vorgelebte Konstrukt überall mit hinnehmen, wenn sie es nicht aktiv hinterfragen. So kommt es, dass ehemalige Geflüchtete kein Problem damit haben, derzeit Flüchtende aus allerlei herbeikonstruierten Gründen ebenso abzulehnen, wie die Mehrheitsgesellschaft eigentlich sie ablehnt. So ergeben sich hohe Zustimmungswerte ehemaliger Jugoslaw*innen zur österreichischen FPÖ oder Menschen mit verschiedensten migrantischen Wurzeln in der AfD.
Aber noch einmal. Auf welcher Grundlage geschieht das? Wer hat wen wann mit der Legitimation ausgestattet, ein über anderen stehender Mensch zu sein, der anderen Menschen Lebens- bzw. Gleichwert, Existenz und Rechte zusprechen oder aberkennen darf?
Dafür gibt es keine Legitimation. Menschen sind – egal wo sie von wem sie in welche Umgebung, Kultur und Religion hinein geboren werden, welchen Geschlechts sie sind, welcher Ethnie sie zugerechnet werden, welche Historie ihre Abstammungsländer haben – zuallererst gleich. Sie haben Gehirne, Herzen, Muskeln, Organe, Blutgefäße, Extremitäten, Haut. Unabhängig davon, wie die Körperteile aussehen, ob und wie sie funktionieren, wie divers ihre neurologischen oder physiologischen Bestandteile zusammengesetzt sind, sie sind Menschen. Ebenfalls unabhängig davon, ob Menschen in Trailerparks, Hochhaussiedlungen, Geflüchtetenlagern, Einfamilienreihenhäusern, Villen oder zwanziggenerationenfach vererbten Schlössern aufwachsen und dem finanziellen Status und der sozialen Zugehörigkeit der Eltern entsprechend mit viel Bildung, viel Unterstützung und Sicherheit, vielen Dingen, Erlebnissen und Chancen aufwachsen oder mit sehr wenig von all dem, sie sind Menschen. Keine der vorgenannten Bedingungen, unter denen Menschen ihr Handlungsrepertoire und ihre Entscheidungsspielräume anlegen und entwickeln können, ändert etwas daran. Wo auch immer man in der Frage steht, wieviel Anteil an Persönlichkeit, Entwicklung und Handeln von Menschen Genetik oder Umwelt hat, muss man zunächst das anerkennen: wir sprechen immer über Menschen und deren Wert ist zu allererst gleich.
Also wer hat wann gesagt, dass erstens das übergeordnet räumliche, genetische und soziale Glück in der Geburtslotterie (ernährungsfreundliche Klimabedingungen, körperliche Gesundheit, schützende Community) eine Berechtigung bedeutet, Menschen mit weniger diesen Glücks (Mangel der o.g. Bedingungen) abzuwerten und über sie zu bestimmen? Und wer hat wann festgelegt, dass auf diesem Glück basierende Zustände weiterführend zur Berechtigung führen, den Mangel eben dieser zusätzlich abzuwerten und als Grundlage zur Verweigerung von basaler Menschenwürde und Gleichwert zu verwenden?
Denn die Grundlage, auf der Menschen früher und heute per Rassismus, Sesxismus, Ableismus und jeder anderen Diskriminierungsform als ungleich kategorisiert, eingeschränkt, gegängelt, ausgegrenzt, bedroht oder sogar verletzt und getötet werden, ist eben diese: im Grundprinzip installierte Ungleichheit, um eben diese über Rassismus, Sexismus, Ableismus usw. zu reproduzieren und zu bestätigen, um sie aufrecht zu erhalten. Wir leben in einem System, das auf willkürlichen Merkmalen und Kategorien aufgebaut ist, die dazu dienen Menschen Wert zu- oder abzusprechen, um sie dementsprechend behandeln zu können, um das daraus resultierende Verhalten als rückwirkende Rechtfertigung für eben diese Behandlung zu verwenden. Das ist das, was falsch ist.
Die Basis all unserer Bemühungen, Menschenrechte durchzusetzen, den Rechtsruck auszubremsen und wirklich etwas an sozialer Ungleichheit, dem Verfall von Gesellschaften zu verfeindeten Gruppen, dem immer weiter auseinander Driften von Reichtum und Armut, den konsequenzenlosen und unverhohlenen Entwertungen, Mißhandlungen und Diskriminierungen zu verändern, muss sein, echten Gleichwert anzuerkennen und in jeder Interaktion zu leben.
Man muss nicht jeden Menschen mögen, Menschen sind mehrdimensional und können auf allerlei Arten ungut und individuell nicht besonders liebenswert sein, aber zuallererst sind Menschen Menschen gleich.
Das muss auch reale Basis einer Rechtsprechung und jeder Form der Selbstbestimmung sein. Bei der bewussten Wahrnehmung, dass – als Beispiel – Frauen erkämpfen mussten, eigenes Geld verdienen und ein eigenes Konto führen zu können, ohne dass ihr Ehemann (a.k.a Besitzer!) dem zustimmen musste, aber im Fall einer ungewollten Schwangerschaft heute noch nur dann über ihren eigenen Körper verfügen dürfen, wenn fremde Menschen bestätigen, dass die schwangere Person in der Verfassung ist, eine informierte Entscheidung zu treffen, muss einem klarwerden, dass wir immer noch von der Zusprache, Zuerkennung, Erlaubnis von Rechten an Frauen, Homosexuelle, trans Menschen, ‘Ausländer’, Migrantisierte, Marginalisierte, Flüchtende, Behinderte usw. sprechen. Dass immer noch einige Wenige, insbesondere Nichtbetroffene von willkürlichen Ausschlußkriterien, darüber verhandeln und entscheiden, wer welche Rechte unter welchen Bedingungen einfordern und wahrnehmen darf, die eben diesen Entscheidenden längst zustehen.
Mit welchem Recht entscheiden Männer in Roben darüber, wer über seinen eigenen Körper verfügen darf, ohne dass wildfremde Leute ihnen die Fähigkeit zur Entscheidung zusprechen müssen? Welche Entscheidung treffen Männer unter solchen Umständen über ihre Körper? Mit Welchem Recht entscheiden Menschen in Arbeit, Brot und Sicherheit darüber, dass Menschen weder Arbeit, noch Brot, noch Sicherheit erlangen können, weil sie nicht in exakt abgesteckten, mit Lineal und Stift auf Kartentischen eingezeichneten Territorien zur Welt gekommen sind? Mit welchem Recht entscheiden Menschen in Frieden, dass Menschen in Krieg kein Frieden zusteht?
Und ebenso müssen wir Menschen – unabhängig davon, ob sie vor unzumutbaren (unmenschlichen!) Lebensumständen fliehen oder schlicht ein bessers, anderes Leben leben wollen – endlich zuallererst als uns gleiche, ebenbürtige Menschen betrachten und ihnen als solche begegnen.
Weder sind Menschen anderer Nationalitäten als der eigenen Verwertungsmaterial für ein demographisch niedergehendes Deutschland, noch sind sie ausbeutbare Verfügungsmasse einer heruntergesparten, mitcovidlebenausgebremsten deutschen Wirtschaft und verdienen als solche halbgare Zusprache von Rechten und widerwilliges Gewähren von Respekt – bloß vor der Leistungsfähigkeit, von Menschlichkeit wird nicht einmal gesprochen. Und zu guter Letzt sind Menschen keine Naturkatastrophen, die inzwischen durch alle Parteiprogramme hinweg entmenschlicht und dämonisiert werden dürfen.
Bei allem rationalen Nachvollziehen von Macht der Zugehörigkeit, sogenannter Liebe zur eigenen Kultur, tiefgreifender Wertschätzung der Leistung von Vorfahren bei gleichzeitiger Fragilität durch in Frage gestellte Normalitäten und daswarschonimmersos – es muss in Köpfe eindringen und wirken, dass wir alle zuerst gleichwerte, uns gegenseitig ebenbürtige Menschen und dann erst Ergebnisse unserer Leben in Umgebungen und Gesellschaften sind. Dass wir erst dann für sozial nachteiliges Verhalten, kriminelle Taten und Handlungen tatsächlich zu echter Verantwortung gezogen werden können, wenn das Mensch- und gleichen Wertes sein zuvorderst anerkannt wurde.
Wir alle verdienen, über uns, unsere Leben samt Unterkunft und Sicherheit, unsere Körper und unser Seelenheil zu bestimmen, in Frieden und Ruhe zu leben. Niemand ist frei, solange wir es nicht alle sind. Menschenrechte müssen die Legitimation für alle weitere Rechtsprechung sein.
Menschenrechte müssen für alle gleich gelten.
Menschenrechte
