Bizarr

Es ist ja so, dass viele Menschen mit krudem Unsinn um sich werfen, wenn ihnen die Argumente ausgehen. Linke Werte wie soziale Gerechtigkeit, Antifaschismus, Antirassismus, Gleichberechtigung als “bizarre Wirklichkeiten” zu bezeichnen ist aber nicht nur Unsinn, sondern sagt am Ende nur etwas über den Urheber dieser Bezeichnung.

Wie einfach und glasklar man sich also als egoistische, privilegierte, ignorante, unsoziale, leider auch rassistische, misogyne, homo- und transfeindliche Person deklarieren kann, zeigt Euch damit heute Herr Blome. Es ist mir egal, ob Herr Blome mit seiner Kolumne nur eine gewitzte Kapriole schlagen wollte, seine ehemaligen Kollegen beim Springerkonzern oder irgendwelche Kumpels bei rechtskonservativen Vereinen begeistern will, mit dieser Gegenpositionierung zu links und der Benennung von linken Anliegen als “bizarr”, das Setzen der Wirklichkeiten in Anführungszeichen bezeichnet er nicht nur den Ideengehalt von Linken, politisch linken Werten und linken Räumen als bizarr, sondern auch die Menschen, deren Anliegen mit ihnen vertreten werden.

Auch wenn Bezeichnungen wie links-rechts-konservativ-progressiv heute ausgefranst sind, gibt es -gerade durch die Zuschreibung von außen- immer noch Grundüberzeugungen, die links zu nennen sind. Dazu gehören
★ der Kampf gegen soziale Ungleichheit und Ungerechtigkeit
★ die Solidarität mit Arbeiter*innen, Unterdrückten, Schwachen und Armen
★ das Anstreben von Gleichberechtigung und Gleichwertigkeit
★ Feminismus und der Kampf gegen das Patriarchat
★ Antirassismus
★ Antifaschismus
Für mich gehört auch ★ Kampf dem explodierenden Kapitalismus dazu, verstehe aber, wenn das vielen schon zu spezifisch wird, bzw. sie immer noch glauben, es gäbe dazu nur entweder – oder und dann nicht weiter denken als bis zum Schreckgespenst Sozialismus. Die Begriffe lösen einerseits auch in linksliberalen Personen gerne ängstliche Abwehrreflexe aus, außerdem gibt es leider auch gerade unter Linken, in linken Strukturen viele Sexisten, Antisemiten oder Rassisten.

Selbst den Minimalkonsens von höherer sozialer Gerechtigkeit bezeichnet der Autor des peinlichen Offenbarungseides aber hier schon als “bizarr” und die damit erwünschte Wirklichkeit solcher (zum Teil bestehender) Räume gleich doppelt, indem er sie in Anführungszeichen setzt. Gesteigert wird das noch, indem er sich spezifische Räume herauspickt, die insbesondere durch Raubtier-Kapitalismus ausgeblutet wurden, bzw. noch werden, um diese mit Maskenverweigerern, Holocaustrelativierern und offenen Nazis nicht nur zu vergleichen, sondern im Ergebnis gleichzusetzen. Er findet, Flatearther und Reichsbürger sind das gleiche, wie Menschen, die sich für soziale Gerechtigkeit einsetzen.

Nun ist es Wesen der Gruppenzugehörigkeit, die eigenen Werte besser zu finden, als die anderer und bezüglich der diametral stehenden zu übertreiben. Das ist aber keine Übertreibung, sondern schlichtes Framing, dass ich in seinem vielfachen Vorkommen inzwischen als gaslighting empfinde. Gaslighting deshalb, weil Werte die einerseits Kindern vom Säuglingsalter an als gut und moralisch wertvoll vermittelt werden (z.B. Teilen/ andere freundlich behandeln/ fair bleiben) bei Erwachsenen lächerlich gemacht und bizarr genannt werden, andererseits vollkommen ausgeblendet werden soll, was an Gehalt bei Abwertung eben dieser sozialen Werte mitgesagt wird.

Jemand, der Kapital und Unternehmer*innen fördert, muss nicht zwingend Arbeit und Arbeitnehmer*innen verunglimpfen. Aber er tut es, wenn er ihre Anliegen, banalste menschliche Ansprüche gerechter Bezahlung und Behandlung als bizarr bezeichnet. Es ist nicht soziale Gerechtigkeit bizarr, es ist nicht Solidarität bizarr. Es sollte heutzutage bizarr sein, dass weniger als 10% Bevölkerung eines Landes 67% des Vermögens innehaben! Es sollte bizarr sein, sich vehement einer Maske zu verweigern, die andere und das Umfeld schützt.

Nun ist klar, dass es nicht ohne Angstschweiß und männliche Tränen abläuft, wenn es so aussieht, als könnte die Mehrheit endlich feststellen, dass sie mehr sind und sich Ausbeutung von einer Minimalzahl an Privilegierten nicht gefallen lassen muss. So wie es vermutlich die fragile Männlichkeit offenbart, wenn bei Frauen endlich ankommt, dass sie 3x soviel tun für 1/3 des Erfolges und Outcomes. Und es ganz offensichtlich tiefste Rassismen triggert, dass Menschen jeglicher Herkunft sich plötzlich nicht mehr die eigene Abwertung gefallen lassen und das Einreden der eigenen Minderwertigkeit – durch Integration-als-reine-Bringschuld-Framing und dies dann als nie ausreichend – nicht mehr zulassen.

Ich verstehe sogar, dass es weh tut, etwas – von dem man nicht mal wusste, dass man es noch und nöcher hat – in Frage gestellt zu bekommen. Man(n) hatte sich bequem im patriarchalen Normal eingerichtet, Arbeit machen die anderen, leiden tun die anderen, beschissen benehmen kann man sich ohne Konsequenzen, meckern kann man trotzdem und genug ist es auch nie und dann kommen plötzlich welche und sagen: ‘Weiste was? Mach das selbst, scher Dich selbst und benimm’ Dich gefälligst anständig und respektvoll, genau da wo Du früher alles schön ignorieren und für selbstverständlich nehmen konntest.’
Klar, wer in der Ehe Vergewaltigung für unmöglich hielt, weil die Frau des Mannes Besitz ist und Witze über N*Wort lustig fand, weil er die Annahme, das wären gleichwertige Menschen nicht mal in Betracht gezogen hat, der guckt jetzt irritiert, wenn er die Sexismus- oder Rassismus-Watschen kassiert.

Aber tatsächlich ist nicht die Watschen bizarr, Freunde des Montags, sondern es ist bizarr, dass sich sehr wenige auf dem Rücken von sehr vielen viel zu lange bequem eingerichtet haben. Es ist bizarr, dass Menschen immer noch um Anerkenntnis ihrer (gleichberechtigten) Existenz kämpfen müssen. Es ist bizarr, dass z.B. Frauen sich Selbstbestimmungsrecht über ihre Körper und Kleidung, trans Menschen Akzeptanz ihrer geschlechtlichen Identität, Menschen verschiedener Ethnien und Hautfarben Akzeptanz ihres Gleichwertes, Behinderte Akzeptanz ihrer Behinderung, Homosexuelle Akzeptanz ihrer Orientierung, Arme Akzeptanz ihrer Bedürftigkeit erkämpfen müssen. Nichts davon sucht man sich aus, alles davon ist menschliches Spektrum, aber alles außer weiß-männlich muss erkämpft werden. Das ist bizarr.

Es ist bizarr, dass eine derart ungerechte Ausgangssituation als normal angenommen wurde und das Streben nach Gerechtigkeit auf verschiedenen Ebenen als bizarr bezeichnet wird. Du, Nikolaus Blome, Deinesgleichen und Eure himmelschreiende Ignoranz. Das ist bizarr.

Dieser Beitrag ist zuerst auf Twitter erschienen und wurde der besseren Lesbarkeit zu Liebe redigiert.